Flugzeugabschuss im Kalten Krieg im MDR-Fernsehen (Textarchiv)

Es war eine ungewöhnliche Geschichte, die Medienspezialist Daniel Baumbach gestern Abend unter dem Titel „Der Abschuss von Vogelsberg – Feindkontakt im Kalten Krieg“ in der MDR-Sendereihe „Der Osten – Entdecke, wo Du lebst“ 30 Minuten lang erzählte. Genau vor 50 Jahren, Ende Januar 1964 drang ein US-Jet in den Luftraum der DDR ein. Wenige Minuten später wurde das Flugzeug von einem  nach dem Abschuss sowjetischen Abfangjäger nördlich von Erfurt abgeschossen, die drei Piloten starben. Bis heute ist unklar, war es Spionage oder doch, wie die Amerikaner behaupten, eine Havarie.

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Original-Text der TV-Reportage

28. Januar 1964. Ein US-Flugzeug dringt in den Luftraum der DDR ein.

Gerhard Albold, Militärflugzeugexperte

Es sind mehrere Warnrufe erfolgt, auch vom amerikanischen Radarstützpunkt auf der Wasserkuppe.

Wolfgang Preisler, Ehemaliger US-Militärspion

Sie hörten die Kommandos nicht. Die Kommunikationstechnik war kaputt.

Gefechtsalarm auf dem Militärflugplatz Altenburg. Zwei sowjetische Abfangjäger steigen auf.

Maik Kattner, Hobbyhistoriker

Die haben mehrmals die Maschine überflogen, haben Handzeichen gegeben mehrfach, mit den Flügeln gewackelt. Es erfolgte keine Reaktion.

In Wünsdorf gibt der Oberkommandierende der 24. Sowjetischen Luftarmee den Abschussbefehl.

Harry Döring, Zeitzeuge: 

Tak, tak, tak ging das eben, eine Bordkanone. So eine Art Gurgeln war das in der Luft, so ein Sausen, Gurgeln irgendwie.

OT Manfred Deckert, Zeitzeuge

Es war so ein Rollen und plötzlich fiel der Feuerkörper vom Himmel. Es war uns gleich klar, dass da was ganz Großes geschehen sein musste.

Ein halbes Jahrhundert später: Gedenken an den Absturz. Neben Zeitzeugen und Anwohnern sind auch US-Amerikaner auf den Bonifacius-Hügel bei Vogelsberg gekommen.

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Sie ehren ihre Väter und Großväter, die hier, etwa 20 Kilometer von Erfurt entfernt, ihr Leben ließen.

Getötet wurden an diesem 28. Januar 1964 die US-Piloten: Captaine John Lorraine, Lieutenant Colonel Gerald Hannaford und Captaine Donald Millard von der US-Air Force Basis in Wiesbaden.

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Bruce Lorraine, Sohn von Lorraine

Er war Pilot in Korea, hochdekoriert, ein Fliegerass.

Kathie Hannaford, Tochter von Gerald Hannaford

Er hatte fast als 4000 Flugstunden in seiner Karriere und 500 Kampfeinsätze.

Tracey Toole, Tochter von Donald Millard

Er war nervös. In der Nacht davor sagte er meiner Mutter, dass ihn die Mission nervös macht.

Hannaford, Lorraine und Millard sind 1964 Opfer – vielleicht auch Täter – eines Luftkrieges, der bereits 1947 begann.

Zwei Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges beschließt das US-Verteidigungsministerium ein gewaltiges Spionageprogramm: Der gesamte Ostblock soll aus der Luft überwacht und systematisch fotografiert werden – von Wladiwostok bis zur innerdeutschen Grenze.

Matthias Uhl, Historiker, Deutsches Historisches Institut in Moskau

Und hinzu kam natürlich, dass die Amerikaner durch ihren Atombombeneinsatz nun Ziele in der Sowjetunion suchen mussten. Sie mussten wissen, wo sind große Industrieanlagen, wo befinden sich die großen wirtschaftlichen und militärischen Zentren und dafür war es eben wichtig, Zielinformationen zu sammeln und das ging damals, weil keine Satelliten vorhanden waren, nur mit Spionageflügen.

Besonders interessant für den Westen: die Nahtstelle zwischen den politischen Systemen, die Sowjetisch Besetzte Zone und spätere DDR. Hier kann aus dem Kalten Krieg ganz schnell ein heißer werden. In der DDR sind die Sowjetstreitkräfte mit der größten Truppenkonzentration außerhalb der Sowjetunion präsent: Über 300.000 Soldaten stehen unter Waffen.

OT Mathias Uhl, Historiker, Deutsches Historisches Institut Moskau: Die Gruppe der sowjetischen Streitkräfte war damals das Modernste, das Schlagkräftigste, das Effektivste, was die Sowjetarmee vorzuweisen hatte. Deshalb war es für dieAmerikaner natürlich sehr interessant, diese umfangreichen Truppenkörper zu studieren, weil das war in einem Krieg der erste Hauptgegner.

OT Monty Hand, Headquarters U.S. Air Forces in Europe & Africa: Das war der einzige Platz, wo wir direkt über ostdeutsche und kommunistische Streitkräfte überfliegen konnten und gesehen haben, was passiert dort.

OT Wolfgang Preisler, ehemaliger US-Militärspion: Die Russen haben genau das Gleiche gemacht wie wir, haben ein Auge geworfen auf die Militäraktionen in Westdeutschland

In der DDR wird es den Militärspionen leicht gemacht. Zu Kriegsende hatten die Allierten auf die Einrichtung von drei Luftkorridoren bestanden, zur Versorgung ihrer Truppen in Berlin. Als die Sowjetunion 1947 in der ersten Berlin-Krise die Grenzen dicht macht, bringen die Amerikaner Lebensmittel über die Luftkorridore in die abgeriegelte Stadt. Und im Schatten der Rosinenbomber fliegen von Anfang an Aufklärungsflugzeuge der US-Air-Force mit.

OT Matthias Uhl, Historiker: Für die Aufklärung waren die Luftkorridore eine Schlüsselvariante und die Technik war damals schon so ausgefeilt, obwohl die Flughöhe auf 3000 Meter begrenzt war, dass man fast das gesamte DDR-Territorium foto- und funktechnisch überwachen konnte. Man konnte also aus den Korridoren beispielsweise das Werftgeschehen in Rostock ganz gut beobachten.

So wird die DDR zum wahrscheinlich meist fotografierten Gebiet weltweit. Für spezielle Spionagemissionen dringen Amerikaner, Briten und Franzosen aber auch immer wieder außerhalb der Korridore in den DDR-Luftraum vor und damit auch auf das Hoheitsgebiet der Sowjetarmee. In Wünsdorf, südöstlich von Berlin, wird jeder dieser Verstöße registriert. Im Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte wird der gesamte Luftraum der DDR überwacht. Kommt den Radarbeobachtern ein Flugzeug verdächtig vor, wird Alarm ausgelöst. Sowjetische Abfangjäger nehmen es in Eskorte. Bereit, jederzeit auf den Feuerknopf zu drücken.

So wie im März 1953. Da gelangt bei Boizenburg eine britische Militärmaschine einige Kilometer hinter den Eisernen Vorhang. Wahrscheinlich, um die Flucht zurück zu verhindern, erfolgt der Abschussbefehl. Drei Piloten sterben – die ersten Toten des Luftspionagekriegs über der DDR.

Verlässt eine Maschine den vorgeschriebenen Kurs, gehen die Sowjets sofort von einem Spionageflug aus. So sind auch Zivilmaschinen verdächtig, die Reisende von und nach Berlin bringen. Kaum ein Passagier weiß, in welcher Lebensgefahr er schwebt, wenn sein Pilot den Luftkorridor verlässt. Anfang der 50er Jahre wird das einer Air-France-Maschine fast zum Verhängnis.

OT Passagier : Unterwegs sehen wir einen sowjetischen Düsenflieger, der mit den Flügel wackelt. Da nahmen wir an, das ist eine Ehrenbezeugung oder Freundschaftsbeweis.

Dabei ist das die international gängige Aufforderung zur Landung. Da der französische Pilot nicht reagiert, eröffnen die MiGs das Feuer. Die Verkehrsmaschine wird getroffen, kann aber in die Wolken entfliehen.

Atmo Sprecher Deutsche Wochenschau: Mit schweren Beschädigungen und insgesamt 89 Einschüssen des Leitwerks, der Kabine und der Tragflächen erreichte die Maschine Berlin. Zwei Passagiere wurden verletzt. Der Pilot der Air France versicherte, den Luftkorridor nicht verlassen zu haben.

OT Passagier: Aus alter Komisserfahrung volle Deckung. In dem Moment Volltreffer auf die linke Seite, Splittermunition oder ein Explosivgeschoss, und die Dame vor mir fiel wie vom Blitz getroffen auf die rechte Seite.

Der Grund für den Zwischenfall ist bis heute unbekannt. Entweder ein Piloten-Fehler, oder das Zivilflugzeug war ein getarnter Militäraufklärer, was auch mitunter vorkam. Erst Ende der 60er Jahre lösen Satellitenbilder die gezielten und gefährlichen Vorstöße in den DDR-Luftraum ab. Doch in den Luftkorridoren gehen die Spionageflüge bis 1990 weiter. In 40 Jahren sollen es etwa 25.000 Flüge gewesen sein.

War auch der Flug von Vogelsberg eine solche Spionagemission? Es kann nicht ausgeschlossen werden. Auch, wenn ein lange geheimgehaltener Bericht der US-Air- Force von einem Übungsflug spricht. Mit Start und Ziel Wiesbaden.

Kurz nach 14 Uhr ist die dreiköpfige Besatzung demnach am 28. Januar 1964 gestartet. Laut Bericht sollte Captain Lorraine die erfahrenen Piloten Lieutenant Colonel Hannaford sowie Captain Millard auf dem zweistrahligen Jet vom Typ „T 39 Sabreliner“ ausbilden

OT Gerhard Albold, Militärflugzeugexperte : Es geht darum, dass man ein Flugzeug kennenlernt. Kurvenflug, bestimmte Punkte wie Funkfeuer abfliegen, in bestimmten Höhen, dass der Fugzeugführer, der eingewiesen wird, mit den Besonderheiten der Maschine vertraut gemacht wird.

Nach dem Abheben in Wiesbaden hat die T 39 laut Bericht um 14 Uhr 16 den letzten Funkkontakt.

OT Gerhard Albold, Militärflugzeugexperte: Nach zirka einer halben Stunde sind bei diesem Flugzeug die Geräte ausgefallen. Man hatte also keinen Funk mehr, keine Navigationsgeräte. Man hat also nicht gewusst, wo man ist.

OT Matthias Uhl, Historiker: Das sind die üblichen Ausreden in dem Geschäft. Man kann nicht sagen, das ist ein Spionageflug. Deshalb sagt man, die Piloten haben sich verflogen. E gab keine Funkverbindung zur Maschine.

OT Wolfgang Preisler, Ehemaliger US-Militärspion: Das ist ganz normale Diplomatie, niemals etwas zugeben. Ich habe lange genug für die amerikanische Regierung gearbeitet. Das ist normal.

Gegen 14.45 Uhr dringt die Maschine nördlich von Eisenach in den Luftraum der DDR ein, registriert von NVA-Radarbeobachtern am Pulverturm bei Sömmerda. Sofort wird Meldung gemacht nach Wünsdorf und dort Gefechtsalarm ausgelöst für den Militärflugplatz Altenburg. Dort stehen sowjetische Abfangjäger in ständiger Startbereitschaft

OT Matthias Uhl, Historiker: Das heißt die Piloten saßen bereits in den Maschinen. Die Aggregate waren alle vorbereitet, dass man nur noch den Anlassknopf drücken musste. Dann waren die Flugzeuge spätestens nach zwei Minuten in der Luft.

OT Gerhard Albold. Militärflugzeug-Experte: Die diensthabende Rotte ist gestartet. Es waren zwei MiG-19-Flugzeuge, die haben eine hohe Steiggeschwindigkeit mit über 100 Meter pro Sekunden, war für die überhaupt kein Problem, in kürzester Zeit auf 8000 Meter zu steigen, denn das war die Flughöhe der T 39, um die Maschine dort abzufangen

Spätestens zwischen Erfurt und Weimar haben die beiden Abfangjäger die viel langsamer fliegende T 39 erreicht und setzen sich neben die US-Maschine. Die sowjetischen Piloten geben Zeichen zum Landen. Doch diese bleiben unbeantwortet.

OT Matthias Uhl, Historiker: Die sowjetischen Piloten sagen ganz klar, sie haben Warnschüsse abgegeben, sie haben die Besatzung darauf aufmerksam gemacht, wenn ihr uns nicht folgt, dann werdet ihr abgeschossen. Sie haben also alle internationalen Regeln für solche Fälle berücksichtigt. Die Amerikaner sind aber stur weitergeflogen. Offensichtlich hatten sie Anweisungen, auf die Zeichen nicht zu reagieren.

OT Monty Hand, Headquarters U.S. Air Forces in Europe & Africa: Es wurde gesagt, die Sowjets haben all das getan: Warnsignale und Warnschüsse abgegeben, und es habe keine Antwort aus dem Flugzeug gegeben. Das läßt mich als Flieger vermuten, dass vielleicht Überdruck und Sauerstoffmangel in der Kabine zur Desorientierung führten.

Die T 39 hat keine Schleudersitze und auch keine Fallschirme an Bord.

OT Gerhard Albold, Militärflugzeugexperte: Bei der ersten Salve ist schon eine Tragfläche abgeschossen worden. Da explodiert der Kraftstoff – Kerosin – und damit war das erledigt.

OT Wolfgang Preisler, Ehemaliger US-Militätspion: Wenn Du jemanden abschießt, nachdem er nicht geantwortet hat, dann hast du wohl das Recht dazu. Wir hätten es wahrscheinlich genauso gemacht.

Der Absturz ereignet sich gegen 15 Uhr. In der Vogelsberger Schule ist noch Unterricht. Jeder hier hat den Krach in zwei Kilometern Entfernung mitbekommen. Es setzt eine kleine Völkerwanderung ein hin zur Absturzstelle: Schüler, Lehrlinge, Landarbeiter – 20 bis 30 hauptsächlich junge Männer wollen sofort sehen, was passiert ist.

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OT Manfred Grosch, Augenzeuge: Man sah schon von weitem Qualm und glühende Teile. Die eine Tragfläche, die noch am Flugzeug war unmittelbar am der Absturzstelle, die lag da auf so einem Buschwerk, und da war zu sehen USAF. Da wussten wir, aha, ein amerikanisches Flugzeug.

 

OT Harry Döring, Zeitzeuge: Da haben wir gesehen, dass in dem Wrack noch Leichenteile waren. Die waren schon verkohlt. Das hat uns ganz schön mitgenommen.

OT Manfred Grosch, Zeitzeuge: Der eine Pilot saß noch auf seinem Sitz, der andere bestand nur noch aus Teilen. Da war nichts mehr zu helfen. Das brannte, glühte noch.

OT Harry Döring, Zeitzeuge: Und jedes Mal, wenn irgendwo ein Feuer ist und ähnliche Sachen verbrannt werden, dann kommen die Gedanken immer wieder zurück an diesen Tag.

OT Manfred Grosch, Zeitzeuge: Wir hatten die Möglichkeit, an den Flugzeugteilen ein paar Souvenirs zu erhaschen. Ich habe mir von diesem Flugzeug, man kann es ja heute sagen, ist ja nicht mehr verboten, den Erstehilfekasten mitgenommen.

OT Harry Döring, Zeitzeuge: Da lag eine Sonnenbrille da. Die Gläser waren aber verbrannt. Der Rahmen war Goldfarben. Dieses Brille lag mehrere Tage, vielleicht Wochen da. Die hat niemand mitgenommen, weil es so sehr persönlich war.

Nach etwa einer Stunde landet ein sowjetischer Hubschrauber vom nahen Hubschrauberplatz Nora. Die Gemarkung Vogelsberg ist nun Hoheitsgebiet der Sowjetischen Streitkräfte.

Ungefähr in dieser Zeit erhält Airmen First Class Wolfgang Preisler den Befehl, schnellstmöglich zur Absturzstelle zu gelangen. Mit einem Cornel macht sich der Fahrer der US-Militärverbindungsmission von Potsdam aus auf den Weg. Ihre Mission: herausfinden, was mit den Piloten passiert ist.

OT Wolfgang Preisler, Ehemaliger US-Militärspion (Übersetzung): Wir fuhren so schnell wir konnten in die Gegend von Erfurt. In zweieinhalb Stunden. Bei 280 Kilometern war das richtig gut, insbesondere auf ostdeutschen Autobahnen.

Die Militärverbindungsmissionen waren von den Siegermächten zur Kommunikation untereinander eingerichtet worden waren. Doch ihre Aufgabe wird es bald, die militärische Stärke der anderen Seite auszuspionieren. Die Militäraufklärer haben Diplomatenstatus, dürfen sich somit frei bewegen in der DDR. Trotzdem versuchen Volkspolizei und Stasi ihre Aktionen zu behindern, wo es nur geht. Ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel.

OT Wolfgang Preisler, Ehemaliger US-Militärspion: Wir ignorierten die Vopos. Wenn sie versuchten, uns zu stoppen, durchbrachen wir ihre Straßensperren. Unsere Autos waren ja schnell genug dafür. Wenn Du das gemacht hast, dann hattest du ein Kribbeln im Nacken. Es konnte ja sein, dass sie schießen. Nicht ungefährlich, doch wir haben es gemacht.

OT Bernd Schmidt, Hobbyhistoriker: Die Russen waren ja die Einzigen, mit denen die Angehörigen der US-Militärmission verhandelt haben. Die Volkspolizei oder die Stasi haben die ja links liegen lassen. Das waren nicht die Verhandlungspartner.

Am Abend kommen die US-Militärs in Vogelsberg an. Eine Polizeikontrolle am Hermsdorfer Kreuz hatten sie genauso wenig aufhalten können wie Straßensperren rund um die Absturzstelle.

OT Gerhard Harsch, Zeitzeuge : Wo die Amerikaner kamen und die Polizei wollte die zurückhalten, haben die Amerikaner die Polizei beiseite geschoben. Dann sind die noch die Ecke weiter, und da hat der Russe dagestanden, hat durchgezogen, hat sie nicht weitergelassen.

OT Wolfgang Preisler, Ehemaliger US-Militärspion: Der Cornel stieg den Berg hoch. Ein russischer Major entschied, dass sei hoch genug. Er schubste ihn, wie bei einer American-Football-Attacke. Der Cornel fiel hin, rutschte den Hang wieder runter. Waffen wurden auf ihn gerichtet, auch auf mich am Auto. Die wussten genau, wer wir waren. Wir wollten harte Beweise in Form von Fotos. So kamen wir zurück in die Gegend. Dann fotografierten wir zuerst im Mondlicht und später, als es hell wurde, machten wir noch mehr Fotos. Wir mussten dann verschwinden, weil sie uns entdeckt hatten. Sie schickten uns einige russische Jeeps. Wir bekamen das in der letzten Minute mit und flohen querfeldein nach Hause.

OT Harry Döring, Zeitzeuge : Abends hat man schon in der Tagesschau im Fernsehen den Ort Vogelsberg gezeigt, wo das Flugzeug abgestürzt ist. Er war Kalter Krieg, aber da hat man mal gemerkt, dass der Kalte Krieg auch heiß werden kann.

Im DDR-Pendant „Aktuelle Kamera“ erfahren die Zuschauer zwei Tage später von den Vorgängen in Vogelsberg.

Atmo-Nachrichtensprecher: In dem Bericht wird hervorgehoben, dass die an Bord des Flugzeuges befindlichen Offiziere langjährige Erfahrung im Flugdienst auf Kriegsschauplätzen hatten und außerdem Mitteleuropa kein Dschungel ist, in dem sich dermaßen erfahrene Flieger verirren könnten.

In den westlichen Gazetten erregt der Abschuss von Vogelsberg großes Aufsehen. Tenor hier: Drei unschuldige US-Piloten wurden ungerechtfertigt von den Sowjets getötet. Vogelsberg ist derweil eine sowjetisch besetzte Zone.

OT Gerhard Harsch, Zeitzeuge: Da waren ja Mann an Mann von den Russen, die das Gelände fünf bis sieben Kilometer rund um Vogelsberg abgeriegelt und abgegangen haben.

OT Manfred Grosch, Zeitzeuge: Es wurde ja bekannt, da wir ja frühmorgens im Bus auch kontrolliert wurden, dass die Stasi noch etwas suchte. Es stellte sich heraus, dass drei Piloten in diesem Flugzeug waren und zwei waren nur gefunden worden, deshalb die Durchsuchung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Es wurde vermutet, dass der dritte Pilot sich absetzen konnte.

Nach drei Tagen dann Entwarnung.

OT Manfred Grosch, Zeitzeuge: Man fand dann unter dem Leitwerk der Maschine menschliche Teile, die darauf hindeuteten, dass das der dritte Pilot war. Die Sache war erledigt, die Schikanen im Dorf hörten auf.

Nach drei Tagen übergeben die Sowjets Teile des Flugzeugwracks und die sterblichen Überreste der Piloten ans US-Militär. In Berlin-Tempelhof und auf der US-Militärbasis in Wiesbaden finden für die Toten Hannaford, Lorraine und Millard Trauerfeiern statt.

Die USA protestieren zwar offiziell gegen den Abschuss bei der sowjetischen Regierung: Das Trainingsflugzeug habe sich verflogen, sei unbewaffnet gewesen und vor dem Abschuss nicht gewarnt worden. Doch viel mehr passiert nicht.

OT Monty Hand, Headquarters U.S. Air Forces in Europe & Africa: Anderes in der Welt war wichtiger. Schwer zu glauben, dass der Verlust von drei Leben, eine amerikanische Luftbesatzung wurde abgeschossen von den Sowjets, nicht wichtig war. Aber bei dem Weltgeschehen damals war es wohl so.

OT Matthias Uhl, Historiker: Die Sowjetunion hat zwischen 1945 und 1983 insgesamt 27 amerikanische Aufklärungsflieger abgeschossen, wobei 120 amerikanische Piloten ihr Leben verloren. Das ist trotz der Tragik ein ganz normaler Alltagszwischenfall des Kalten Krieges gewesen.

In Vogelsberg währt die Ruhe nach dem Abtransport nur für wenige Wochen. Bis zu dem Tag als drei Sechzehnjährige auf die Idee kommen, die toten Piloten mit einem großen Kreuz zu ehren.

OT Harry Döring, Zeitzeuge: Da sind wir in ein kleines Wädchen und haben uns eine Birke ausgesucht. Die haben wir dann abgesägt und haben sie dann auf den Schultern zum Absturzort gebracht.

OT Harri Döring, Zeitzeuge: Wir haben es heimlich gemacht. Wir wussten, dass es nicht erlaubt war oder dass die Staatsmacht was dagegen gehabt hätte. Aber weil wir die Toten gesehen haben, da haben wir gedacht, wir machen das.

Doch das Kreuz steht nicht lange.

OT Harry Döring, Zeitzeuge: Das hatte jemand aus Vogelsberg entfernt. Wahrscheinlich war die Stasi schon dahinter gekommen. Als wir wieder rauskamen, da hatte es jemand schon ins Gebüsch geschmissen.

Bei den Bauern im Dorf beißt die Stasi auf Granit. Keiner gibt den Geheimen einen Tipp. Obwohl die Vorgänge rund um den Abschuss von höchstem Interesse gewesen sein müssen, gibt es nur zwei dünne IM-Akten. Darin lediglich kurze Informationen über den Absturz und die Gespräche darüber im Ort.

Die Idee mit dem Kreuz am Bonifaciushügel erweckt Gerhard Harsch nach der Wende wieder zum Leben – ein Vierteljahrhundert nach dem Absturz. Allerdings nicht ganz ohne Bedenken.

OT Gerhard Harsch, Zeitzeuge: Ich hatte das dann abends aufgestellt, weil ich mich nach 90 gleich auch noch nicht traute. Wird noch aufgepasst, wird nicht aufgepasst? Mir ging es eigentlich darum, man sollte das nie vergessen, was da draußen passiert ist. Das war eigentlich der Anlass, warum ich das Holzkreuz gesetzt habe.

Mittlerweile hat Gerhard Harsch das Gedenkkreuz zum dritten Mal erneuert. Seit 1998 gibt es auch einen Gedenkstein, den ein kleiner Freundeskreis initiiert hat. Dessen Mitglieder: fast alles Augenzeugen von 1964. Die Gedenkstätte ist wohl die Einzige, die in Ostdeutschland an getötete US-Piloten aus dem Kalten Krieg erinnert.

Für die Vogelsberger ist klar: Hannaford, Lorraine und Millard hatten bei ihrem Flug 1964 keinen Spionageauftrag. Für sie war es ein durch technische Probleme fehlgeleiteter Übungsflug.

OT Manfred Grosch, Augenzeuge: Wir haben vor Ort keine Teile gesehen, die irgendwie darauf hinwiesen, dass es sich um Waffen handelte bzw. Kameras. Es war nichts weiter an Bord bis auf diesen Piloten mit der Kartentasche.

Im Bericht der US-Air Force steht, dass ein Ausfall der Bordelektrik, ein Versagen der Navigationstechnik oder ein Pilotenfehler schuld waren.

OT Tracey Toole, Tochter von Donald Millard: Es gibt die Geschichte, dass mein Vater ein Spezialagent war. Die andere Geschichte, er hätte fliegen geübt. Und dann ist da die Story, dass die Ausrüstung versagt hat. Aber das glaubt doch kein Mensch, dass das Equipement versagt hat. Die Piloten mussten wissen, wo sie waren. Warum sind sie nicht umgekehrt?

Vielleicht ja doch, weil interessante Ziele ganz in der Nähe waren. So residiert in Nohra bei Weimar die größte sowjetische Kampfhubschrauberstaffel der DDR. Und dort stehen Anfang 64 die Vorbereitungen für das große Frühjahrsmanöver der Warschauer Paktstaaten an. Dieses Manöver ist für das US-Militär von solchem Interesse, dass die US Air Force bereits sechs Wochen nach Vogelsberg ein weiteres Mal den Luftraum der DDR verletzt. Ein ausgewiesenes Spionage-Flugzeug fliegt am 10. März mitten hinein ins Manövergebiet bei Gardelegen und wird von sowjetischen Abfangjägern vom Himmel geholt. Dank Schleudersitzen können sich die Piloten retten.

OT Wolfgang Preisler, Ehemaliger US-Militärspion: Die westliche Seite sagte, das sei ein unschuldiger Überflug. Aber die RB 66 war bekannt dafür, dass sie für geheimdienstliche Aufklärung genutzt wurde.

Gardelegen und Vogelsberg sind die letzten großen Zwischenfälle im Himmel über der DDR.

OT Matthias Uhl, Historiker: Nach dem Abschuss der beiden Militärmaschinen gab es in diesem Bereich keine weiteren Zwischenfälle. Das zeigte zumindest der sowjetischen Seite, hier hat man eine klare Linie gezogen, die von den Amerikanern akzeptiert wurde.

Die letzten Todesopfer des Luftkriegs über der DDR sind in Vogelsberg zu beklagen.

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Ein Kommentar

  1. Deutsch – Amerikanische Freundschaft entstanden….
    Zur Einweihung des Denkmales an der Absturztelle auf dem Bonifatiushügel (Kirschberg) am 15.August 1998 kam auch Oberstleutnant Monty Hand von der US-Airbase Ramstein.
    Aus diesem Besuch entwickelte sich in der weiteren Zeit zwischen den Familien Hand und Grosch ein enges freundschaftliches Verhältnis. Gegenseitige Besuche in Ramstein und Frohndorf (unweit v. Vogelsberg) festigten die Freundschaft beider Familien.
    Auf Einladung der Familie Hand, inzwischen zurück in die USA, besuchten wir sie 2015 in Alexandria (Virginia).
    Dort hatte ich die Gelegenheit auf dem Nationalfriedhof – Arlington in Washington D.C. die Ruhestätte des Piloten Col. Hannaford (gest. 28.01.1964) zu besuchen.
    Der Freundeskreis „Denkmal“ konnte im Jahr 2016 auch den damaligen Aufklärer Wolfgang Preisler der US-Militärmission Potzdam in Vogelsberg begrüßen.

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