BMTD-Blog (1): Reporter vor Ort wissen meist am wenigsten

Wiedermal ist das Unfassbare passiert: Terroranschläge am Brüsseler Flughafen und in einer U-Bahnstation in der Nähe der EU-Administration. Viele Tote, jede Menge Verletzte, chaotische Zustände – ein Anschlag auf das Herz der EU. Und natürlich geht die ARD schnellstmöglich mit einer Sondersendung On Air. Das erwarten wir Fernsehzuschauer mittlerweile. Sobald uns die erste Eilmeldung erreicht, stürzen wir zum Fernseher, um die Bilder Ereignisses zu sehen und die neuesten Erkenntnisse von vor Ort zu hören.

Informationen fehlen

Doch sind die Informationen, die die uns die Reporter und Korrespondenten kurz nach dem Ereignis präsentieren, wirklich so erkenntnisreich, dass sich das Einschalten des Fernsehers lohnt? Bekommen wir als Nachrichtenkonsumenten in den ersten Stunden nach solch einem Terrorakt das zu sehen und vor allem zu hören, was uns brennend interessiert?

Frust macht sich breit

Wohl eher nicht! Schnell stellt sich zumindest bei mir sogar Frust ein und auch ein Sättigungsgefühl, angesichts der ganzen Katastrophen-Plattitüden, die ich zu hören bekomme: „Polizei- und Rettungswagen sind unterwegs; Augenzeugen haben Tränen in den Augen und irren umher; Straßen sind oder werden gerade abgesperrt; alles in allem ein ziemlich chaotisches Bild“. Was ich aber wissen will, höre ich nicht. Was ist wo genau passiert? Wie viele Opfer gibt es? Wie müssen wir das einordnen? Welche Folgen hat das alles für uns?

Reporter wurden auch überrascht

Doch die Antworten auf diese Fragen können die Kollegen in den ersten Stunden nach dem Ereignis vor Ort noch gar nicht geben. Im Grunde sind die ersten Katastrophen-Reporter sogar zu bemitleiden. Auf dem Weg zur Arbeit oder zuhause wurden sie wie wir vom Ereignis überrascht, versuchen sie schnellstmöglich zum Anschlagsort zu gelangen, währenddessen ihr Handy nicht mehr still steht. Die Redaktion in Hamburg ist dran, erklärt, dass sie sobald als möglich auf Sendung müssten, ganz egal, was sie schon wissen. Auch die Dispo klingelt durch, erklärt, dass es technische Probleme gibt: Der Übertragungswagen habe noch nicht aufgebaut, sondern stehe im Stau. Außerdem habe man noch gar keinen Standplatz, und die Leitung zum Satellit breche immer wieder zusammen, es wollten ja alle gleichzeitig auf den Transponder. Bitte, lieber Kollege vor Ort, kümmere du dich wenigstens um den Standort für den Übertragungswagen!

Keine Zeit zum Recherchieren

Zum Recherchieren kommen die Kollegen auf dem Weg zum Übertragungsort nicht. Sie können nur quasi nebenbei aufnehmen, was sie sehen, was sie hören, vielleicht auch riechen. Zum Einordnen oder gar Analysieren haben sie keine Zeit und den Kopf auch gar nicht frei. Heißt: Ohne einigermaßen fundiertes Wissen werden sie zwangsläufig in den Live-Schalten verheizt und müssen, um die Sendezeit zu füllen, irgendwas erzählen. Und da die Moderatoren im Studio nicht aufhören, neue Fragen zu stellen, wird jede weitere Antwort nicht besser.

Ereignisort in Sichtweite – doch kaum Informationen

Auch mir ging es schon so, im April 2002, als ein Amokläufer am Erfurter Gutenberg-Gymnasium um sich geschossen und 16 Menschen getötet hatte. Als erster TV-Live-Reporter vor Ort wurde ich von einer „Tageschau“- zur nächsten MDR-Sendung durchgeschaltet. Ich stand im abgesperrten Bereich, in Sichtweite des Geschehens, doch ich wusste rein gar nichts. Wenn mir nicht ein netter Kollege die neuesten Informationen von den ersten Pressekonferenzen durchtelefoniert hätte, ich hätte stundenlang nichts anderes berichten können, als das, was ich auf meine Weg zum Schaltort gesehen hatte: „Viel Polizei ist da, die Schüler sind verwirrt, haben Tränen in den Augen, alles ist ziemlich chaotisch…“. Ich fühlte mich als derjenige, der vom Ereignis am wenigsten wusste, und musste doch immer wieder in den Live-Schalten eine wissende Miene aufsetzen.

Einfach mal durchatmen

Was also tun? Einfach mal ein paar Stunden nach einem Terrorakt mit der Berichterstattung warten, durchatmen, bis sich der Qualm gelichtet hat und klar ist, was eigentlich wo, wie und warum passiert ist? Besser wäre es auf jeden Fall. Aber ich vermute, dass wir das als Nachrichtenkonsumenten nicht mehr akzeptieren werden. Schnell, schneller, am schnellsten wollen wir informiert sein und bekommen dann eben, den oben geschilderten Frust serviert.

Erst den „Brennpunkt“ schauen

Mein persönliches Rezept dagegen: Ich schaue mir die ersten Livebilder nach einem Ereignis an, maximal zehn Minuten lang, und übe dann den Rest des Tages News-Verzicht (wenn ich nicht gerade Dienst als Nachrichtenredakteur habe) – bis zur „Tagesschau“ und dem anschließenden „Brennpunkt“. Dann wissen die Kollegen fast immer schon mehr und beantworten meine vielen Fragen zumindest einigermaßen umfassend.

Daniel Baumbach hat den Beitrag für den Blog des Bundesverbands der Medientrainer in Deutschland geschrieben. Dort wurde er am 24.3. 2016 unter Dazu der BMTD veröffentlicht.

BMTD

Medienspezialist Daniel Baumbach ist Mitglied im Bundesverband der Medientrainer in Deutschland e. V. (BMTD-Webseite), dessen Mitglieder sich regelmäßig zu besonderen Ereignissen der medialen Kommunikation äußern. Dieser BMTD-Blog erscheint auch auf der Verbands-Webseite.

2 Kommentare

  1. Hallo,

    interessante und informative Beiträge hier, super. Habe längere Zeit als stiller Gast nur mitgelesen und mich jetzt mal angemeldet.
    Ich würde mich freuen, wenn ihr bei Gelegenheit auch einmal auf meinem Blog zum Thema Textilreinigung vorbeischauen würdet.

    Alles Liebe

    Herbert

    Flecken entfernen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert