Tübke-Film erzielte im MDR tolle Quote (Textarchiv)

9,4 Prozent Einschaltquote erzielte gestern Abend die Neuauflage des Tübke-Films von Medienspezialist Daniel Baumbach (Buch und Regie) im MDR-Fernsehen. Damit schalteten im MDR-Sendegebiet 380.000 Zuschauer das Porträt über den Leipziger Maler und sein wichtigstes Werk, das Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen, ein. Für ein Kunst-Thema, das es meist schwer hat in der Zuschauergunst, ein sensationeller Erfolg! Auch auf dem MDR-Sendeplatz „Der Osten – Entdecke, wo Du lebst!“ (immer dienstags um 20.45 Uhr) war der 30-Minuten-Film ein überdurchschnittlicher Quotenerfolg.

Es ist aber auch ein außergewöhnliches Kunstwerk, das seit mittlerweile 30 Jahren auf dem Schlachtberg oberhalb von Bad Frankenhausen in einem eigens gebauten Museum thront: 123 Meter lang, 14 Meter hoch, über 3000 Figuren – eine ganze Epoche in einem Ölgemälde, der Umbruch vom späten Mittelalter in die frühe Neuzeit. Und sein Erschaffer, der ehemalige Rektor der Leipziger Kunsthochschule, Werner Tübke, war auch ein außergewöhnlicher Künstler. Ein SED-Mitglied mit großbürgerlichem Habitus, der künstlerisch im 16. Jahrhundert lebte, aber so zeitgemäß geschäftstüchtig war, dass er der Partei- und Staatsführung seine Spielregeln diktierte. Von diesen ungewöhnlichen Entstehung des Riesenbildes erzählt der Film. Daniel Baumbach hat dafür zirka 50 Stunden Archivmaterial ausgewertet. Sein Film gibt dem Betrachter aber auch Einblicke in einzelne Szenen des Werkes. Der Zuschauer bekommt Lust, das größte Ölgemälde Mitteleuropas selbst zu entdecken (Film in MDR-Mediatek).

Hier der Originaltext zum Tübke-Film:

Ein Ufo – so scheint es – ist in den 70er Jahren bei Bad Frankenhausen gelandet.
Mit rund 90.000 Besuchern im Jahr wurde es zu einem der erfolgreichsten Museen Thüringens. Sie alle lockt ein einziges Gemälde. Es ist rund – und es gehört zu den größten der Welt.

Dieses Gemälde erschlägt den Betrachter.
123 Meter lang.
14 Meter hoch.
Über 3000 Figuren auf 1700 Quadratmetern Fläche.
Eine ganze Epoche in einem Bild: Der Umbruch vom späten Mittelalter in die frühe Neuzeit.

OT Umfrage:
Mann: Ich bin jetzt total desorientiert, möchte gern wissen, wo ich beginnen soll, geschichtlich auch.
Frau: Ich finde es ganz besonders beeindruckend, weil ich gar nicht aufhören kann zu schauen.
Mann: Ich ärgere mich, dass ich kein Fernglas dabei hab, um mal im Detail zu schauen, ich weiß jetzt nicht, wo ich anfangen sollte.
Frau: Außergewöhnlich, ich betrachte es zum vierten Mal und es ist immer wieder neu, immer wieder schön.
Bettler, Landstreicher, Dirnen – ein Strom des Elends wälzt sich über´s Land.
Der Teufel hat seine Falle für sie aufgestellt.
Die sieben Todsünden grüßen mit dem „Siebenlasterweib“.
In der Ruine des Turms von Babel, einem Gleichnis für die sündige Papstkirche in Rom, haben sich Habgier und Wucher breitgemacht.
Ein eselsohriger Papst als Fürst der Hölle winkt aus einem Kranz von Teufeln und Dämonen.
Der Fisch als Zeichen für das reine, unverfälschte Evangelium droht abzustürzen.
Thomas Müntzer, der Prediger, deutet die Sintflut an, die sich über die Erde ergießen wird, über eine Welt im Niedergang.

OT Wenzel, Maler und Helfer Tübkes
Das ist das Bild eines genialen Malers, der sich sein ganzes leben lang mit der Zeit ganz nah beschäftigt hat.

Werner Tübke hieß dieser geniale Maler. Er schuf das größte Gemälde Mitteleuropas. Vor 30 Jahren, am 16. Oktober 1987, signierte er sein Meisterwerk. Tübke, der 2004 verstorben ist, war einer der besten figürlichen Maler seiner Zeit. Künstlerisch lebte der Leipziger im 16. Jahrhundert.

OT Werner Tübke
Für mich ist es ein punktuelles Jetzt, und ich kann mich sehr gut in Bilder hineinversetzen von Grecko oder Tintoretto und so weiter, das sind für mich Zeitgenossen, das klingt etwas schrullig, es ist aber genauso, wie ich es eben sage.

OT Eduard Beaucamp, Kunstkritiker
Er glaubte an Reinkarnation, er sah sich als Wiedergänger seiner großen Heroen aus dem 16. und so, so eine Art Wiedergeburt, aber ich würde auch sagen, er ist ein Wiedergebährender, das heißt, dass da auch was Produktives, er ist kein Kopiest, kein Historist, nun wirklich nicht, dafür ist das alles zu magisch.

OT Eberhard Lenk, Maler und Helfer Tübkes
Er hat sich nie in das Schubfach sozialistischer Realismus einordnen lassen, er sah die Kunst weltweit, und so wie er sie sah, und das, was Jahrhunderte Gültigkeit hatte, das hatte für ihn noch Gültigkeit.
Für die DDR hatte die Geschichte auch Gültigkeit, vor allem wenn sie sich einordnen ließ, als historisch-revolutionärer Vorläufer des Arbeiter- und Bauernstaats.
Die verheerende Schlacht oberhalb von Frankenhausen war solch ein Ereignis. 6000 Bauern ließen am 16. Mai 1525 ihr Leben – im Kampf gegen die viel besser bewaffneten und ausgebildeten Landsknechte der Fürsten. Gedeutet und instrumentalisiert wurde das Ereignis als frühbürgerliche Revolution. Und Müntzer war für die DDR-Historiker der große Revolutionär.

OT Thomas T. Müller, Vorsitzender Münzer-Gesellschaft
Das beginnt am Anfang damit, dass man den Thomas Münzer als so eine Art Protokommunisten stilisiert. Das geht historisch und theologisch ziemlich fehl, das muss man ganz klar sagen. Aber es hat sich damals ziemlich durchgesetzt. Und mit dem großen Film von Friedrich Wolf aus den 50er Jahren hat man ein riesiges Publikum erreicht. Den haben Millionen von Leuten gesehen. Und diese Leute haben dann ein Müntzer-Bild gehabt.
Wenige Tage nach der Schlacht wurde Müntzer in Mühlhausen hingerichtet. In Thüringen war der Bauernkrieg zu Ende.
Die Trommler des Krieges schlagen und schlagen.
Doch Bauernführer Thomas Müntzer hat die Bundschuhfahne gesenkt. Isoliert steht er da, um ihn herum ein Gemetzel.
Ikarus, der der Sonne zu nah kam, stürzt ab. Die Erhebung der Bauern ist gescheitert.
Hinter einer Hecke verborgen: 20 Heroen der Zeit, versammelt am Lebensbrunnen. Sie alle kämpfen mit Wort und Werk, nicht mit der Waffe.
Bildhauer Tilmann Riemenschneider, Albrecht Dürer, Martin Luther, Lucas Cranach.
Die Händler Jacob Welser und Jacob Fugger fangen an, die Welt mit Geld zu regieren.
Ihnen allen ist ein ewiger Platz in der Geschichte gewiss. Der Granatapfel symbolisiert es.
Auf dem 8. Parteitag der SED hatte Erich Honecker verkündet, das Nationalverständnis der DDR müsse erweitert werden – über die Geschichte der Arbeiterklasse hinaus. In der sogenannten Erbediskussion rückten damit neue Ereignisse und Personen ins geschichtliche Blickfeld.

OT Behrend
Es kam zu einer Reihe von Jubiläen: 1971 das 500jährige Albrecht-Dürer-Jubiläum, 1972 Lucas Cranach, 1975 dann 450 Jahre Bauernkrieg, und schließlich das vollkommen fiktive Datum des Geburtstages Müntzers 1989. 500 Jahre Müntzer, in dieser Reihe und ideologischer Vereinnahmung ist das Panorama Bad Frankenhausen einzuordnen. Es ist schlechthin das Prestige-Projekt im Kulturbereich der Erich-Honecker-Ära und war am Anfang als geschichtsdidaktischer Weihetempel konzipiert zur Belehrung der Bevölkerung.
Ein Weihetempel, der den Bauernkrieg als Vorstufe auf dem Weg zum Sozialismus verklärt. 1975 zur Feier 450. Jahre Schlacht bei Frankenhausen war der Rohbau auf dem Schlachtberg fertig.
Kritisch beäugt von vielen in der Stadt.

OT Hohlstamm-Horn
Im ersten Moment waren sie natürlich schockiert, das war der Rodelberg der Frankenhäuser und zum Spazierengehen für Sonnabend, Sonntag, und dann wurde da so ein Klotz hingesetzt, das war ratzfatz das Elefantenklo.
Der SED-Bezirksleitung Halle und dem DDR-Kulturministerium schwebte in der Rotunde ein Schlachtengemälde nach sowjetischem Vorbild vor. Wie „Die Schlacht von Borodino“ – ein Panoramabild über das blutige Gemetzel der Truppen Napoleons und der russischen Armee 1812 bei Moskau.

OT Beaucamp
Das sollte eigentlich ein Armeemuseum werden, mit Fahnenweihen für die NVA. Nun stand das da, und da suchten sie einen Maler, und die haben das angeboten wie Sauerbier. Die haben es sich alle angeschaut, Sitte, Herr Heisig und so weiter, und die haben sich alle bekreuzigt, das machen wir nicht, da kann man sich nur blamieren. Letztlich war die letzte Option der Tübke, der hat überlegt und gesagt, das ist die Herausforderung, ja, das mache ich.
Professor Werner Tübke, Rektor an der Leipziger Kunsthochschule, war der einzige, der es sich vorstellen konnte.

Ein anerkannter, aber ein unbequemer Maler. Ein SED-Mitglied mit großbürgerlichem Habitus. Ein Mann mit solch einem Selbstbewusstsein, dass er Thomas Müntzer seine Gesichtszüge verlieh und sich selbst im Zentrum seines Werkes sah. Als Maler blickt er über die Betrachter hinweg gen Himmel.
Und dieser Mann sollte für die Partei ein plakatives Schlachtenspektakel malen? Ein mutiges Ansinnen oder ein verzweifeltes. Schon sein Besuch beim Vorbild in Borodino geriet zum Eklat.

OT Behrendt
Es brach emotional aus ihm heraus, er nannte es eine faschistische Kunst und eine Verdummung des Sowjetmenschen, eine Nichterziehung zu einem ästhetischen Geschmack, also Tübke tat alles, dass es nicht zu einem stalinistisch orientierten, dokumentarischen Kunstwerk kommt.

 Tübke wollte den Auftrag, aber nur nach seinen Spielregeln.

OT Tübke
Mir ist meine Arbeit, die bildende Kunst überhaupt, zu schade für Gehirnwäsche. Ich will niemanden belehren oder erziehen, meine Kunst ist weiß Gott keine Waffe. Die einzig vernüftige Position, die ich einnehmen kann, ist l´art pour art.
Kunst, um der Kunst willen. Tübke wusste um die prekäre Lage seiner Auftraggeber und stellte für die DDR-Zeit knallharte Bedingungen.
So ließ er sich vom Kulturministerium bestätigen, dass es keinen Fertigstellungstermin gibt,
dass ihm bei der Ausführung niemand reinredet,
dass er pro Jahr 75.000 DDR-Mark bekommt, dazu noch ein Schlusshonorar
und dass sämtliche Vorarbeiten sein Eigentum bleiben.
OT Beaucamp
Die DDR hätte sich unsterblich blamiert, nach der ganzen Vorauspropaganda, auch im Westen, ging ja durch alle Medien, wenn das Ding gar nicht gemalt worden wäre….also war der Mann kostbar geworden, und da hat man ihm natürlich alle Wünsche erfüllt.

Die Weltgeschichte treibt ihrer Apokalypse entgegen. Wie eine Lawine stürzen die Körper höllenwärts.
Das Schicksal der Obrigkeit scheint besiegelt. Justitia weist auf den Adel, der sich dem Richterspruch scheinheilig zu entwinden versucht und rauschende Feste feiert. Im Sinne von Müntzers Entzeitprophetie wird das göttliche Urteil über die Verdammten vollzogen.
Reformator Luther hat zwei Gesichter. Er ist der mutige Streiter, der sich mit dem Thesenanschlag gegen die Zustände richtet. Er ist aber auch der Zögerer, dem die Rotten der Bauern und Müntzers Aufstand zu radikal sind.

OT Thomas T. Müller
Der Luther, den Tübke zeichnet, diesen janusköpfigen Luther, ist nicht der Luther, den die meisten aus dem Konfirmationsunterricht kennen möglicherweise. Es gibt eine Plastik eines westdeutschen Künstlers aus 1983, und da sieht man einen Luther, der ein Beil im Rücken hat. Und diese Plastik heißt „Luthers Erinnerung an Münzer“. Da kann man so ein bisschen sehen, diese gespaltene Sache ist nicht nur originär eine Tübke-Idee.
1976 begann Tübke mit der dreijährigen Vorbereitungsphase. Nach vielen Reisen, umfangreichen kunsthistorischen und theologischen Studien entstanden 143 Zeichnungen. Für die authentische Wirkung entlehnte er Stil und Motive dem 16 Jahrhundert. Holzschnitte unbekannter Künstler dienten als Vorbild für einzelne Figuren. Auch ganze Figurengruppen und Szenen entnahm Tübke Bildquellen des späten Mittelalters.
Wie in einem Schaffensrausch konzipierte Tübke ab 1979 in nicht einmal zwei Jahren die Vorfassung im Maßstab 1 zu 10. Auf fünf Tafeln entstand sein Welttheater aus mehr 3000 Figuren.

OT Tübke
Ich hatte die 12 Meter 30 leer vor mir gehabt und nur ungefähr gewusst, was draufkommt, eine Schlacht musste drauf, und habe mich dann durch die Jahre treiben lassen, habe das gemalt, was mir einfiel, und das ging ganz gut, gegen Ende merkte ich dann, dass wieder mal alles geklappt hat, also ohne Bildordnung, ohne Kompositionsstudien das Ganze.
Für zwei Millionen DDR-Mark verkaufte Tübke die Tafeln später an die Nationalgalerie in Berlin – ausgemacht waren 500.000. Doch Tübke drohte mit dem Verkauf nach Westdeutschland – und die DDR-Entscheider knickten ein. Der Maler war ihnen nicht nur lieb, sondern auch sehr teuer.

OT Beaucamp
Er hat in der Tat das ausgereizt und sah sich selbst als sehr elitär und wollte das auch, nicht aus Gier, er konnte mit dem Geld ja gar nichts anfangen. Aber er wollte das dann auch honoriert haben, das Selbstbewusstsein des Künstlers.
Von Anfang an war klar, der Meister kann diese Mammutaufgabe nicht allein bewältigen. 15 junge Maler, fast alle Absolventen der Leipziger Kunsthochschule, sollten ihm helfen.1982 begannen sie Tübkes Stil zu trainieren – mit zeichnerischen Studien, mit Ausschnitten der Vorfassung in zehnfacher Vergrößerung.

„Hochmalen“ nannte Tübke das.

OT Wenzel
Ich habe damals gesagt, in der DDR arbeitet man an zwei Stellen – bei Ardenne und bei Tübke, wenn man da früh zwei Minuten nach um acht kommt, das ist zu spät, da kam man schon nicht zu spät.

Dem Leipziger Diedrich Wenzel und einem Kollegen fiel die Aufgabe zu, die 1-zu-10-Fassung zu kopieren. Sie pausten das Original mit Finelinern auf eine Folie ab.
Anschließend wurde die Folie in 900 Quadrate unterteilt und fotografiert. Eine wichtige Vorarbeit für die Übertragung der Konturen auf die Riesen-Leinwand.
1982 wurde diese vom Frankenhäuser Sattlermeister Günter Hohlstamm zusammengenäht. Die 150 Meter langen und 16 Meter breiten Bahnen passten unmöglich in seine Werkstatt. So arbeitete er direkt in der Rotunde.
54 NVA-Soldaten zogen die 1,1 Tonnen schwere Leinwand dann nach oben und befestigen sie an zwei Stahlringen, die einen Durchmesser von knapp 40 Metern haben.
Anschließend behandelten sowjetische Spezialistinnen die Leinwand mit einem Geheimrezept. So soll sie jahrhundertelang halten – wie die russischen Ikonen.
17:13-17:31 OT Hohlstamm-Horn
Die haben diese ganze Leinwand fünf mal grundiert, so dass man auf dieser Leinwand malen konnte, aber keiner wusste, wie sich das zusammengesetzt hat, diese Grundierung, sie haben immer gemunkelt ein Fischtran, aber wissen wir nicht.
Nicht Maria nimmt die Verkündigung der Wiederkunft Christi entgegen. Ein Bewaffneter bekommt von einem greisen Engel einen Palmzweig gereicht.
Maskierte halten ein „Narrengericht“. Nach einem Fastnachtsbrauch wird so die Obrigkeit entmachtet.
Der Papst am Kreuz wird von Teufeln gepeinigt und vom Fegefeuer bedroht.
Ewige Verdammnis für die Gottlosen verkündet die Stimme aus dem Feuerkessel.
Das Schiff der verdorbenen Handwerksleute nimmt Fahrt auf.
Mit Episkopen, den Vorläufern des Beamers, wurden die 900 fotografierten Quadrate in zehnfacher Vergrößerung auf die Leinwand geworfen. Die Quadrate mussten unterschiedlich groß sein. Denn die Leinwand hing nicht lotrecht nach unten. Sie hatte in der Mitte einen Bauch von über einem halben Meter. Ein paar Wochen lang zeichneten Tübkes Mitarbeiter die Umrisse auf der Leinwand nach. Eine Disziplinarbeit.

OT Tübke
Im Grunde ist ja ein riesiges Tagebuch von mir, gehüllt in die Gewänder der damaligen Zeit, wäre das nicht, dann wäre der Auftrag gar nicht durchzuführen.
Den ersten Pinselstrich setzte Werner Tübke im August 1983. Die erste Figur: der auf dem Regenbogen liegende Mann. Ein halbes Jahr lang malte Tübke allein. 150 Quadratmeter entstanden, Vorbild für die fünf Helfer, die es durch sein strenges Auswahlverfahren geschafft hatten.
Die Arbeit war klar verteilt: Die Helfer malten das Beiwerk, Landschaften, Himmel, Gegenstände. Tübke schuf die überlebensgroßen Figuren.

OT Lenk
Malerei heißt ja, dass man Farbe ineinander vermalt, und hier war das ja der Extremfall, da wurde die Leinwand zur Palette, ich lege Farben über-, unter-, nebeneinander und verarbeite die erst auf der Leinwand, das war ein spannender Prozess.
Wie ein Fresco, Stück für Stück, Farbinsel für Farbinsel entstand das Riesenwerk.

OT Lenk
Wir wussten dann, was zu tun ist, um diese Fernwirkung zu erreichen, einmal durch Tübkes Vorgabe, wir haben dann auch immer das Gerüst weggeschoben, von unten dann nochmal geschaut und merkten dann, oh, das reicht noch nicht, das muss noch was drauf an Farbkörper, um zu senden, dass das bis runter ankommt.
Die Fürsten spielen um die Macht im Heiligen Römischen Reich wie Glücksspieler.
Eitel und erhaben erscheint ein Fürst hoch zu Ross. Liebedienerisch, unterwürfig begrüßen ihn die Knechte. Sie haben keinen Aufstand im Sinn, nur ihren Vorteil.
Vornehme Gestalten ziehen einen Fuchsschwanz. Überall gibt es Fuchsschwänze – Sinnbilder der Unterwerfung durch Heuchelei.
Acht bis neun Stunden malten die Künstler täglich in der Rotunde. Die Abende verbrachten sie in Bad Frankenhausen. Für Werner Tübke stand ein Gästehaus unterhalb des Schlachtberges bereit, wo er abends weiter arbeitete. „Abmalen“ nannte er das. Mit den Lithografien, die dabei entstanden, bediente er Sammler, die auf neue Werke warteten.

OT Beaucamp
Der war manisch, der war manisch, da kann man auch nicht sagen, dass er von irgendjemandem angehalten wurde zu produzieren, nein der musste immer zu, immer zu.

Für seine täglichen Touren auf den Schlachtberg und zurück hatte Tübke einen Wagen samt Chauffeur. Eines seiner Privilegien, die in der Stadt für Unmut sorgten.

OT Behrendt
1986 kam es zu Drohanrufen, wir werden dir den Kopf umdrehen, wenn du erneut auf den Schlachtberg gehst, oder wissen sie, was eine Mordandrohung ist, wir werden ihnen hiermit eine machen.
Die Stasi war beunruhigt und nahm sich der Sache an.

OT Behrendt
Es war von dem 65köpfigen Mitarbeiterstamm des Panoramas mindestens ein Achtel Mitarbeiter auch der Staatssicherheit,
sie alle auf der künstlerischen und auf der Projektebene beschatteten das Panorama.
Besonders besorgt war die Stasi um die Gesundheit des Meisters. Die großen körperlichen Anstrengungen setzten ihm merklich zu.

OT Tübke
Hier ist jetzt eine Strecksehne des Daumens abgerissen, über 2,5 Jahre mit vier und fünf Zoll Bürsten, das geht über die Sehnen, Schultergürtel könnte besser sein und auch die Füße sind schon ein bisschen durchgestanden. Es hinterlässt schon Spuren.
OT Brigitte Schellenberger-Tübke
Einmal haben sie ihn auch ins Krankenhaus gebracht und danach hat er immer wieder Besuche im Krankenhaus gehabt, und er ist ja dann auch leider kurz vor seinem 75. Geburtstag gestorben. Wenn er das Bild nicht gemalt hätte, hätte er vielleicht länger leben können. Ich weiß das nicht.
Im Januar 1985 war die Hälfte des Monumentalgemäldes geschafft. Für vier der fünf Tübke Helfer war hier Schluss.
Eberhard Lenk hatte als Einziger den Qualitätsansprüchen des Meisters standgehalten. In den folgenden zwei Jahren malte er allein mit Tübke.

OT Lenk
Wir haben das ja wie scheibchenweise gemalt, das Gerüst ist abgefahren, dann wieder eine Etage runter, und dann blieb dann immer ein bis anderthalb Meter Bodenebene frei, als er an den Brunnenfiguren war, ich musste immer meine Palette schnappen und ihm hinterher eilen, unten den Rest dran malen, die abgestückelten Beine und was da noch so auftauchte, bei mir hat ja keiner weitergemalt.
Wie Tübke immer wieder betonte, war die Arbeit an der 1-zu-10-Fassung für ihn wie ein Tagebuch. So hatte er Menschen, die ihm nahe nahestanden, im Bild aufgenommen.
Seine dritte Frau, Brigitte Tübke Schellenberger, malte er auf hohem Ross mit Zigarette in der Hand. Sie weist auf einen Toten, dem ein dämonischer Engel die Seele aus dem Mund zieht. Der Leichnam selbst soll Tübke sein.
So wie Tübke in seinem Bild auch seine eigene Endzeitprophetie auslebte, so schien er sich mit der Person Müntzers zu identifizieren. Er schenkte ihm ganz selbstverständlich sein Gesicht.
Müntzer scheint ihm deutlich näher gewesen zu sein als Luther. Vielleicht war ihm der Reformator wegen seines Zauderns und seiner Wortgewalt gegen die die Bauern suspekt.

OT Müller
Wenn man die Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ liest, das ist schon harter Tobak. Er sagt, man müsse mit den Aufständigen umgehen, wie mit einem tollen Hund. Wenn man ihn nicht erschlägt, dann beißt er einen. Er sagt auch, dass jeder, der im Kampf mit den Ausständigen fällt, dass dem das Himmelreich sicher sei. Und dass den Aufständigen Höllenqualen drohen. Man könnte heute sagen, dass Luther Münzer und seine Anhänger quasi als die ersten innerprotestantischen Ketzer angesehen hat, also Leute, die deutlich von seinem Weg abgekommen sind.

Tübkes Luther dementsprechend zwiespältig: Er zeichnete ihn als feisten alten Mann, als Prediger mit zwei Gesichtern und als unterwürfigen Bittsteller beim Papst.

OT Müller
Müntzer geht in seiner Idee von Reformation viel weiter, er sagt, wenn die Obrigkeit nicht evangelisch regiert, dann haben wir das Recht, die Obrigkeit abzusetzen. Und das ist aber ein Punkt, den Luther nie infrage gestellt hat. Luther hat immer gesagt, die Herrschaft ist die Herrschaft und die wird nicht infrage gestellt.
Im September 1987 war es vollbracht. Mit dem Schuh des Schmeichlers wurde der letzte weiße Fleck im Rundgemälde geschlossen. 19 Minuten brauchte Werner Tübke, um sein Werk nach 11 Jahren Schwerstarbeit zu vollenden.

OT Atmo: Wie fühlen sie sich? Ich fühle gar nichts. Es hat sich ausgefühlt. Meine Ärzte fragte mich schon, ich kann noch nichts drauf antworten. Das merkt man erst ein paar Wochen später.

OT Lenk
Natürlich wollte er diese Ernte einfahren, also das Erlebnis zu haben, gefeiert zu werden, etwas in die Welt gesetzt zu haben, sein Kind, ein großes Kind, er konnte das schon genießen, ich merkte das schon, endlich fertig.
Die Eröffnung verschob sich um weitere zwei Jahre. Beim Bau der Betonhülle war gepfuscht worden. Schwitzwasser lief an den Innenwänden herunter. Für etliche Millionen DDR-Mark musste die Betonschale überarbeitet werden.
Aus der Bundesrepublik wurde für 70.000 DMark eine Klimaanlage importiert .
Die Gesamtkosten von rund 96 Millionen DDR-Mark machten das Panorama-Museum zu einem der kostspieligsten Kunstprojekte der DDR.
Am 14. September 1989 dann die offizielle Einweihung.

OT-Atmo: Führe deine Gäste zu deinem Werk
Darf ich sie bitten, mir zu folgen.
OT Frau Schellenberger-Tübke
Er hat im Nachhinein gesagt, dieses Bild war zur richtigen Zeit, vorher hätte ich es fachlich noch nicht gekonnt und nachher hätte ich es körperlich nicht mehr gekonnt.
Der Sündenfall Adam und Evas markiert den Anfang der Menschheitsgeschichte,
die Heilserwartung des jüngsten Gerichts ihr irdisches Ende.
Die Entwicklung der Menschheit ist eine Leidensgeschichte ohne Ende.
Christus erliegt der Versuchung des Teufels und springt kopfüber vom Felsen.
Bauernvolk tanzt bei einer Hinrichtung. Freud und Leid sind nah beieinander.
„Herr Niemand“, eine populäre Volksgestalt, die immer für alle Übeltaten herhalten muss, weist alle Schuld von sich.

OT Beaucamp
Natürlich ist es ein Jahrhundertwerk, nicht weil es in der DDR entstanden ist oder das 16. Jahrhundert behandelt, sondern weil es Ahnungen und Ängste unserer Zeit aufnimmt.

Viele Allegorien über das menschliche Wesen und den zyklischen Verlauf von Geschichtehatte Tübke in sein Welttheater hinein gemalt. Doch er hasste es, das Bild zu erklären oder – schlimmer noch – es verklären zu lassen.

OT Tübke
Ich wünsche mir ein Publikum, das einigermaßen fähig ist, zu sehen, und nicht ständig dabei zu reflektieren. Bloß nicht mit einem Bildungsbedürfnis hier reinkommen, das wäre scheußlich, das wünsch ich mir nicht.

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