MDR-Lebensläufe: Bildhauer Volkmar Kühn (Textarchiv)

Medienspezialist Daniel Baumbach hat für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) den Thüringer Bildhauer Volkmar Kühn porträtiert. Er schrieb das Buch und führte Regie. Der 30-Minuten-Film „Volkmar Kühn: Der Herr das langen Finger“ lief am 20.09.2018 um 23.05 Uhr in der MDR-Reihe „Lebensläufe“.

 

MDR Lebensläufe: „Volkmar Kühn – Der Herr der langen Finger“  

MDR-Mediathek

MDR-Pressetext

Hier der Original-Text des TV-Porträts:

Ein Theater ohne Bühne und ohne Schauspieler. Das schafft Volkmar Kühn mit seinen Figuren aus Bronze.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Es sind die Spuren des Werdens, des Entstehens aus Wachs, was ich mir selbst zurechtmache, was ich mir weichkoche. Und da entsteht natürliche Struktur. 

Viele Menschen, die empfinden meine Figuren als nicht schön. Aber ich erarbeite ja auch keine Magazin-Schönheit. Ich erarbeite Figuren, die mit dem Leben zu tun haben. Besonders die Gruppe, die heißt „Begegnung mit ungewissem Ausgang“, wo sich Menschen gegenüberstehen, wo man das Gefühl hat, man weiß nicht was geschehen kann. Diese Spannung versuche ich in Spannung, in Physiognomie ablesbar werden zu lassen.

Es sind die Hände, die abwehren oder locken. Die Mimik, die Widersprüche aufzeigt. Immer steckt etwas Hintergründiges im Werk von Volkmar Kühn. Oft melancholisch,  manchmal auch gefährlich. Einfach NUR schön, ganz ohne Spannungen, sind seine Plastiken nie.

Michael Hametner, Kunstkritiker

Bei ihm ist alle Kunst eine Form von Gleichnis. Und dieses Gleichnis hält er immer offen. Das heißt, ich als Betrachter kann entscheiden, lädt es mich ein oder hält es mich auf?

Siegfried Specht, Kunstsammler

Er verwischt die Geschlechter – Mann, Frau – weil er den Menschen darstellen will und jetzt nicht die Frau, den Mann. Weil die Botschaft ist eine andere.

Kühns markante Figuren wirken auf den Betrachter – an vielen Thüringer Orten. Im Innenhof des Thüringer Landtags in Erfurt. Oder vor Schloss Heidecksburg in Rudolstadt. Ebenso in der Innenstadt von Gera.

Gitta Heil, Kuratorin

Diese Gestik ist nicht gleich, sondern sie ist gespeist von einer großen Sensibilität und charakterisiert seine Arbeiten. Und sie sind immer unterschiedlich, die überlenkten Finger und die Handhaltungen, auch die Physiognomie mit dem zarten Lächeln.  

Marita Kühn-Leihbecher, Ehefrau

Das ganze Weltgeschehen wird durchwühlt und durchforstet und was in der Zeitung Schreckliches steht, das geht ihn alles was an und klar fließt das in die Plastik mit ein.

Künstlerische Ausdruckskraft hat Volkmar Kühn zu einem der wichtigsten Bildhauer im mitteldeutschen Raum werden lassen. Der Leipziger Kunstkritiker Michael Hametner spricht sogar von überregionaler Strahlkraft.

Michael Hametner, Kunstkritiker

Er ist ein großer Mann. Und er hat auch keine handwerklichen Schwierigkeiten mit der Figur. Er beherrscht sie, er kann auch mit ihr spielen kann, das mit den Fingern machen kann, sie ein wenig zurücknehmen kann, nicht jedes Detail zeigen muss. Ich finde, er ist einer der ganz Großen seines Faches in Deutschland. 

Beliebt sind Kühns Plastiken bei Landschaftsplanern und Architekten. Wenn es das Budget erlaubt, werden sie bei Neubauprojekten ins Stadtbild integriert. Der Geraer Architekt Klaus Sorger hat Kühns „Großen Schritt“ am Eingang des „Theaters am Park“ in Gera platziert.

Klaus Sorger, Architekt

Ich glaube, vielen gefällt die nicht mal, die Figur. Aber sie lädt ein. Sie hat die Maske auf dem Gesicht, wo man sieht, da ist Theater, da gibt es eine Auseinandersetzung. Und sie heißt ja der große Schritt: Diese Figur geht auf die Menschen zu. Genial!

Beim „Großen Schritt“ hat Volkmar Kühn auf das große Geld verzichtet – wie so oft. Wichtiger sind ihm die Orte, an denen er Bleibendes hinterlassen kann.

Auftragskunst ist für Kühn tabu. Sämtliche Plastiken entstehen ausschließlich nach seinen Vorstellungen.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Ich habe schon seit zig Jahren nie an einem Wettbewerb teilgenommen, weil mich das so viel Kraft kostet, ein Modell zu machen, am liebsten drei Modelle, die ganze Berechnung, was das kostet, das laugt einen so aus, da kommt für mich keine Kunst mehr raus.

Kühn produziert mitunter auch Widerspruch: In Zwickau zum Beispiel, mit dem „Ikarus“. Die Plastik steht vor einem Schulgebäude. Eltern beschwerten sich, ihre Kinder hätten Alpträume. Schließlich teerten und federten Unbekannte die Figur.

Klaus Sorger, Architekt

Das hat ihn sehr verletzt. Wie man dort mit der Figur umgegangen ist und der Beschimpfung von Volkmar Kühn, das ist für mich schlicht unerträglich. Das ist ohne Anstand.  

Volkmar Kühn, Bildhauer

Viele glauben immer noch, dass Kunst das Leben verschönern soll. Kunst hinter die Ledergarnitur zu stellen oder eine Gartenplastik oder einen Park zu verschönern, das erlebe ich zuhauf.  Vielleicht muss es hier und da auch ein bisschen Kitsch geben. Der Kitsch versüßt oder verzuckert das Leben. Aber ich verzuckere es nicht mit meiner Arbeit

Ein ganzer Kühn-Kosmos ist in 50 Jahren in Wünschendorf bei Gera entstanden, im Kloster Mildenfurth. Hier hat der Künstler seit 1968 sein Atelier, sein Zuhause, seine ganze Welt. Leben, arbeiten, ausstellen – überall in der historischen Anlage sind seine Figuren aufgereiht. Sie korrespondieren mit der romanischen Klosterkirche, die später zum Renaissance-Schloss überbaut worden ist. Hier hat Volkmar Kühn in Jahrzehnten seinen eigenen Figurenpark geschaffen.

Im Gewölbekeller stehen seine Ton- und Schamottefiguren. Zu seinem 50. Geburtstag wurde die Werkschau eröffnet.

Volkmar Kühn

Ich leide am Weltschmerz und demzufolge meine Figuren auch. Aber ich glaube nicht, dass die nur depressiv daher kommen und trübe Stimmung vermitteln. Ich glaube immer, es ist auch sehr viel Hoffnung dabei, wenn man genau hinschaut.

Seit Ende der 80er Jahre wohnt Volkmar Kühn im ehemaligen Schweinestall direkt neben der mittelalterlichen Anlage. Mit seiner zweiten Frau Marita Kühn-Leihbecher. Früher war sie Textilgestalterin in Gera. Seit fast 30 Jahren arbeitet sie als Künstlerin. Grafik und Papierkunst sind Marita Kühn-Leihbechers Metier. Gemeinsam bereiten die Kühns oft Ausstellungen vor.

Gespräch Volkmar und Marita Kühn

Kühn-Leihbecher: Da sind jetzt die freien Arbeiten. Bist du auch der Meinung, dass man das so aufbauen kann?

Kühne: Ja, man braucht einen roten Faden, den Werdegang deiner Person.

Marita Kühn-Leihbecher, Ehefrau und Künstlerin

Man braucht manchmal auch den kritischen Blick. Man ist in manche Dinge ein bisschen verliebt. Lässt man es? Wenn es der andere eben auch befindet, dass es nicht erforderlich ist, ist es immer sehr hilfreich. Ich glaube, wir ergänzen uns in allem recht gut und sind auch sehr kritisch unseren Arbeiten gegenüber.

Volkmar Kühn, Bildhauer 

Da geht’s manchmal hart zur Sache bei ihr im Atelier und bei mir unten, Plastik gegen Papier und Papier gegen Plastik. Es ist unwahrscheinlich fruchtbar miteinander. Besser kann eine Ehe nicht gehen.

Kühn ist Mildenfurth, Mildenfurth ist Kühn. Er ist der Hausmeister des Klosters, wie er selbst scherzhaft sagt. Doch eigentlich stammt der Künstler nicht aus Ost-, sondern aus Südthüringen.

1942 wurde Volkmar Kühn in Königsee als Sohn eines Gastwirts geboren. Früh zeigte er Interesse für Kunst und hatte Talent. Heute ist Kühn nur noch selten in Königsee, obwohl er hier noch Verwandtschaft hat.

Volkmar Kühn, Bildhauer 

So ein richtiges Heimatgefühl kommt bei mir gar nicht auf. Das Heimatgefühl kommt erst, wenn ich durch die Natur hier wandere. Aber vor dem Städtchen zu stehen, da entwickelt sich nicht so ein warmes Gefühl.

Das warme Gefühl kommt im nahen Paulinzella. Als Kind war Kühn oft mit seinen Eltern in der romanischen Klosterruine – zu Sonntagsspaziergängen.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Mich fasziniert diese Säulenformation, diese Basen, was die für eine Kraft ausstrahlen. Dieses Erdige und Stützende. Und dann doch so ein gewaltiges Kapitell, was doch wieder aufgelockert wird durch so eine bewegte Linienführung. Ohne die Linien wäre das ein großer Steinquader. Doch so wird alles nochmal erhöht. Tiefste Romanik hier, und wenn man das sieht, dann denkt man auch an Mildenfurth. 

An diesem Sehnsuchtsort seiner Kindheit wollte Kühn unbedingt mit seiner Kunst präsent sein. Mit dem Mildenfurther Kreuzmenschen. Den hatte er eigentlich für das andere romanische Kloster geschaffen. Vor ein paar Jahren stimmte die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten als Besitzerin der Anlage zu. Die Skulptur kam an die Stelle des  ehemaligen Altars.

Gottfried Meinold, Kunstkenner

Man sieht das Kreuz von Ferne und denkt, das ist der Gekreuzigte. Man geht weiter und denkt doch nicht. Es ist doch gar kein Kreuz da, nur ein Mensch, der in Kreuzform aufgerichtet ist. Und man kommt noch näher und sieht das Gesicht, die nach oben gerichtete Haltung. Der Gekreuzigte hatte einen gesenkten Kopf, und dann erwachen die Hände, übergroß, und dann denk man, was ist hier überhaupt los? Es ist ein Mensch und doch wieder kein Mensch. Man fängt an zu rätseln, und das ist das Großartige, man kommt nicht wieder los davon, dieses Rätsel zu lösen.  

Volkmar Kühn, Bildhauer

Da hatte ich schon ein bisschen Bedenken, ob sich diese menschliche Figur behaupten kann in dieser monumentalen Architektur. Ich glaube durch diese Landschaftsöffnung ist es ein Kreuzzeichen, wenn man so will. Ich bin sehr zufrieden. Und hier habe ich auch wirklich ein Heimatgefühl. 

Gelernt hat Volkmar Kühn in den 50er Jahren Porzellan-Modelleur – in Sitzendorf, der Heimat des Thüringer Porzellans. Es war ein Lehrberuf, der etwas Kreatives hatte und in der Nähe von Königsee lag. Mehr nicht. Und seitdem hat sich Kühn auch künstlerisch weit entfernt von den zuckerig-süßen Porzellanfiguren.  Ein ganz wichtiger Schritt auf diesem Weg war Leipzig für ihn.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Ich komme ja aus der tiefsten Provinz, einer Kleinstadt Thüringens.  Und mich hat so eine Stadt fast erschlagen, als ich hierher kam. Die ersten Jazzkonzerte erlebt, die Oper wurde damals gerade gebaut. Theater. Oder das alte Café Korso, wo sich alle gesammelt haben, um diskutieren zu können. Das war schon ein schöner kochender Topf.   

Auch künstlerisch war Leipzig für Kühn ein brodelnder Ort.  An der Fachschule für angewandte Kunst studierte er Bildhauerei. Kunsthandwerker wie er wurden hier zu Künstlern geformt. Gleich nebenan die Hochschule für Grafik und Buchkunst, wo Maler wie Tübke, Mattheuer oder Heisig lernten und lehrten – die weltbekannte „Leipziger Schule“.  Kühn gehörte als Fachschulstudent zwar nicht direkt dazu. Aber er nutzte Angebote der Malerschule, besuchte Seminare und belegte Kurse bei den Leipziger Meistern.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Dieser Ort hat eben Möglichkeiten eröffnet, den Horizont auch zu öffnen und dieses Vermischen von Plastik, Grafik, Fotografie. Man hat ja auch mit diesen ganzen Ebenen auch Kontakt gehabt, wer wollte. Ich war da sehr neugierig und habe auch Freundschaften gepflegt. Das war für mich sehr fruchtbar dadurch.

Niemals würde Kühn soweit gehen und den Begriff „Leipziger Schule“ aus der Malerei für seine Bildhauerkunst anzuwenden. Dafür ist er viel zu bescheiden. Auch wenn  für manchen Kunstkritiker das nahe liegt. In der Stadt erlernte er das Handwerk, wurde seine Handschrift geprägt. Mehr akzeptiert er nicht.

Während des Studiums zog es Kühn immer wieder in den Leipziger Zoo, um die Tiere ganz aus der Nähe beobachten zu können.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Ich habe mich schon von frühester Kindheit an Tierstudien orientiert. Und hier war es natürlich die Krönung, als ich als Student hier war. Jede freie Minute war ich hier und habe gezeichnet. Da Günstige war, ich habe den Habitus mitbekommen. Wie ist die Befindlichkeit eines Tiers, auch zu anderen Tieren? Da konnte man die Nasenstruktur kontrollieren, ein Auge, ein Ohr. Das war dann später ein Rüstzeug für mich für Plastiken auch. 

Nach dem Studium arbeitete Volkmar Kühn als Hilfstierpfleger – unter anderem im Raubtierhaus, das heute ein Museum ist.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Da war ein sibirischer Tiger untergebracht.  Und der Tiger hatte aber eine Krankheit, und keiner wusste, was hat er denn nun? Und ich durch mein Interesse, weil ich die Tiere immer studiert habe, habe ich festgestellt, dass er sein Maul beim Trinken so komisch öffnet. Und siehe da, er hatte ein Geschwür am Rachen.  

Besonders in den frühen Jahren fertigt Kühn immer wieder Tierplastiken. Viele stehen in Gera, es gibt aber auch einige in Jena, in Rudolstadt und im Kloster Mildenfurth. Für ihn ist das Tier gleichberechtigt zur menschlichen Figur. Nicht nur Beiwerk wie in früheren Zeiten.

Michael Hametner, Kunstkritiker

Da gab es Zweifel, ob ein Pferd so aussieht. Hallo! Wenn ich ein Pferd sehen will, dann gehe ich in einen Pferdestall. Ich sehe eine Plastik. Und er will auch eine Plastik schaffen.

Als tierische Musen begleiten Kühn seit Jahrzehnten Deutsche Doggen. Die Aktuelle heißt Kuno und ist fünf Jahre alt. Mit Kuno geht Kühn zweimal am Tag durch die Wünschendorfer Flur.

Marita Kühn-Leihbecher, Ehefrau

Er sagt immer, kleine Männer brauchen große Hunde. Als wir in München waren, da haben manche gesagt, wo will denn der kleine Mann mit dem großen Hund hin?

Kühn ist Tierfreund und liebt die Natur über alles. Möglichst unberührt muss sie für ihn sein, ohne menschliche Eingriffe. Fürchterlich kann er sich darüber aufregen, wenn zum Beispiel Wegränder gemäht werden und damit Wildblumen für Insekten verschwinden.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Es ist wie ein Krebsgeschwür, das über unser Land gezogen ist, überall Ordnung zu halten, alles abzurasieren. Das ist schön, da ist Ordnung. Wenn man das stehen lässt, ist das wildes Gesträuch, das wird dem Menschen suggeriert. Ich begreife es nicht. Und man weiß es doch, dass die Welt vor dem Kollaps steht, was Naturerhalt betrifft.

Siegfried Specht, Kunstsammler

Er ist wahrhaftig. Menschlich wie künstlerisch. Er ist übersensibel, er ist naturliebend, er liebt nicht den großen öffentlichen Auftritt. Aber wenn es um die gute Sache geht, dann kann er sehr kämpferisch, sehr drückend, ungeduldig werden. Bremser regen ihn auf.

Nach seiner Zeit in Leipzig zog Kühn nach Gera. Ein befreundeter Maler hatte ihn dorthin gelockt. Doch Gera-Lusan ist für ihn kein Wohnort, an dem er sich wohl fühlen kann. Zu viel Beton, zu viel Einförmigkeit.

Ganz anders das nur wenige Kilometer südlich der Stadt gelegene ehemalige Kloster Mildenfurth. Ein Ort, dessen romanische Wurzeln ihn sofort an die Klosterruine Paulinzella erinnerten.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Da ging mein Herz auf. Der Bürgermeister auf der Gemeinde hat gesagt, das ist ein Unding, dass sie hier drin wohnen können. Ich sage, ich stelle keine Forderungen an sie. Ich brauche einen Raum. Mehr will ich nicht, mehr brauche ich nicht. Und seitdem bin ich mit diesem Kloster verheiratet. Die Ehe kann nicht geschieden werden.

Zuerst hatte Volkmar Kühn hier nur sein Atelier. Ab Mitte der 70er Jahre wohnte er dann auch im Jahrhunderte alten Gemäuer.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Hier war mein Wohnung, hier begann das Wohnzimmer. Hier hatte ich eine Gipswand gesetzt. Hier war ein Kachelofen. Hier ist man in den zweiten Raum gekommen. Und da ging schon das Herz auf, die Größe und die Höhe. Und hier habe ich quasi gewohnt. Da hinten lagen zwei Matratzen, zwei Modelle, keine Damen, sondern zwei Deutsche Doggen mit einer Pekingente.

Das Gebäude war fast leer als Kühn einzog. Nur eine Hausmeisterwohnung und eine Annahmestelle für Obst und Gemüse im Erdgeschoss gab es. Ein Altenheim war längst ausgezogen. Auch wegen des undichten Dachs.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Es hat hier massiv reingeregnet. Das floss die Treppe runter, und das letzte Wasser ist unten auf dem Hof gelandet. Und ich habe hier immer Fotowannen aufgestellt, um wenigstens das Größte an Wasser ein bisschen abzufangen. Aber es wurde bei diesen großen Flächen so massiv. Und dann musste ich wieder ausziehen.

Das Dach ist schon lange wieder dicht. Nach der Wende wurde es neu gemacht. Das Gebäude hat hohen Denkmalwert. Seine bauliche Überformung ist einmalig im mitteldeutschen Raum. Im 13. Jahrhundert als romanische Klosterkirche errichtet, wurde es nach der Reformation im 16. Jahrhundert zum adligen Jagdschloss umgebaut, aber nie richtig fertiggestellt.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Das war ja das Positive auch: Die Kirche ist nicht geschliffen wurden, sie wurde nur verkürzt, verkleinert, umgebaut, angebaut. Diese große Umfriedungsmauer ist als Klostersubstanz als Schutzmauer um dieses Areal gebaut worden. Ich kann es nicht in Worte fassen, da wäre ich ja Schriftsteller. Allein dieses Atmen von altem Balkenholz und vergehenden und manchmal modrig riechenden Steinen, all das das ist ein Faszinosum.

Kloster Mildenfurth ist geprägt vom Mix der Baustile: Romanik, frühe Gotik und Renaissance haben hier ihre Spuren hinterlassen. Das Ringen der Denkmalpfleger, welcher Baustil der prägende ist für ein Gebäude, hat auch Kühn immer beschäftigt.

Mit dem langjährigen Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Helmut-Eberhard Paulus, hat er oft kreativ gestritten.

Gespräch Volkmar Kühn mit Helmut-Eberhard Paulus

Paulus: Sie waren mir im Vorfeld als ein sehr eigenwilliger Mensch geschildert worden.

Kühn: Ich frage jetzt nicht von wem.

Paulus: Sie hatten sich ja mit dem Denkmalpfleger angelegt. Sie hatten gewisse Vorstellungen.

Kühn: Ich wollte mich mit einbringen, als die Sanierungsphase begann. Das war so meine Mission. Um die Menschen mitzunehmen und hier und da schon mal das Pflänzchen Kultur zu pflanzen.

Paulus: Das war keine einfache Situation. Weil Künstler sind eigenen Menschen und Denkmalpfleger manchmal komische Menschen. Das prallt dann auf einander.

Volkmar Kühn wollte immer, dass die romanischen Ursprünge der Klosterkirche stärker betont werden. Die Denkmalpflege sieht aber die Renaissance-Zeit als prägender an. Als Anwohner und seit Jahren ständiger Nutzer der Anlage mischt sich Kühn immer wieder ein und scheut auch keine Auseinandersetzung.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Ich möchte keine Krämer beleidigen, aber das ist so ein deutscher Begriff geworden, Krämerseele. Ein bisschen klein und eng gedacht und ängstlich und nicht mal selbst eine Meinung zu haben. Es wird alles gemacht, was gefordert wird von höherer Stelle. Und das blockiert auch so viel.

Hinzu kommt: Die Skulpturen auf dem Gelände werden immer mehr. Eine friedliche Landnahme über die Jahrzehnte, die einfach so passiert ist. Nutzungsverträge oder Vereinbarungen zwischen der Eigentümerin Schlösser-Stiftung und dem Künstler gibt es bis heute nicht.

Helmut-Eberhard Paulus, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger

Die Tatsache, dass die Figuren von Volkmar Kühn, in diesem Garten eine Aufnahme gefunden haben, hat aus sich heraus etwas völlig Neues entwickelt, ein Raumkunstwerk, ein Gesamtkunstwerk aus Natur und Kunst und Geschichte, etwas, was aus sich heraus selber spricht. Und es ist wirklich die Frage zu stellen, ob man das nicht in eine museale Betreuung hinüber führen sollte.

Volkmar Kühn belastet, er wird immer älter und möchte seinen Nachlass gesichert sehen. Für einen Teil seiner Kleinplastiken gibt es eine Heimat im Landesmuseum Heidecksburg in Rudolstadt. Die großen Skulpturen würde er gern für immer in Mildenfurth belassen und sie der Schlösser-Stiftung schenken.

Volkmar Kühn, Bildhauer

Aber das wird kompliziert werden, diese Übernahme der Kunst, wer steht dafür ein, wer ist für die Sicherheit zuständig, wer zahlt die Steuern, die gezahlt werden müssten, angeblich. Ich möchte sie gern der Gesellschaft schenken.

Die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten ist im Gespräch mit den Kühns. Sie sagt, es sei dringend notwendig, die Dinge neu zu ordnen und vertraglich zu regeln. Möglichst noch in diesem Jahr.

Volkmar Kühn ist jetzt 76. Sein umfangreiches Werk hat er noch lange nicht abgeschlossen. Er sprüht vor Ideen! Und so sitzt er regelmäßig in seiner Werkstatt und formt aus Wachs neue Figuren. Dieser Löwe wird später in einer Gießerei in Bronze gegossen.

Gitta Heil, Kuratorin

Und immer denkt man, noch eine Bronze, noch einen Volkmar. Er braucht das auch. Er lebt mit seiner Plastik.

Kühn produziert ein Meisterwerk nach dem anderen. Werkstatt und Wohnbereich sind zugestellt mit Kleinplastiken.

Klaus Sorger, Architekt

Er müsste eigentlich Millionär sein. Vielleicht ist er es ja, keine Ahnung. Aber er kann sich wirklich von keiner Plastik trennen. Das ist, als ob ihm seine Kinder genommen werden. Da leidet er körperlich, seelisch.

Immer versucht der Perfektionist bis ins letzte Detail die Kontrolle zu behalten. Wenn Fotograf Bertram Kober aus Leipzig kommt, um Katalogfotos zu machen, dann bestimmt Volkmar Kühn selbstverständlich alles mit.

Kober: Es geht jetzt um die Frage: Hast Du eine Favoritenansicht?

Kühn: Es ist ja eigentlich eine Rundumplastik. Ist bei mir ja nicht immer der Fall. Und so frontal geht’s auf keinen Fall, diese Verkürzung. Das siehst du sicher selber. Man glotzt immer auf den Schwanz.

Gottfried Meinold, Kunstfreund

Mich hat nichts an Bildschöpfungen, als Plastiken so sehr beeindruckt in den letzten Jahren oder Jahrzehnten, fast hätte ich gesagt seit Michelangelo, wie dieses Werk. In seiner Vielfalt und epochalen Tragweite.

Der Fernsehautor

Daniel Baumbach ist Diplom-Journalist und ausgebildeter Zeitungsredakteur. Seit 22 Jahren arbeitet er als freier Journalist hauptsächlich für den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Mit seinem Label „Medienspezialist“ ist der Erfurter außerdem bundesweit als Produzent von Image-Filmen und Dokumentationen, Medientrainer, Moderator sowie Unternehmensberater tätig (Qualifikation und Berufspraxis).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert